Die Fahnenschwinger

Die Fahnenschwinger der Folkloregruppe schwingen die "Deutsche Reihe", eine Volkskunst, die fast vom Aussterben bedroht war und in Deutschland nur noch selten gepflegt wird.

     

 

Absoluter Fahn-sinn

 

 

Fahnenschwingen, so werden sich einige fragen, was hat es denn damit auf sich? Wo kommt diese bedrohte Art der Volkskunst eigentlich her, wo ist der Ursprung und wer zeigt das heute noch?

 

Herkunft des Fahnschwingens

 

Der Ursprung des Fahnenschwingens lässt sich bis in die früheste Geschichte der Menschheit zurückverfolgen. Schon bei den germanischen Völkern war es Sitte, die eigenen Kampfscharen mit einem Kennzeichen zu versehen. Römische Fahnen- und Bannerträger pflegten im 6.ten Jahrhundert n. Chr. dem päpstlichen Umzug voranzugehen, indem sie ihre Fahnen und Banner zum Zeichen des Triumphes und Freude schwenkten.

 

Seine besondere Blütezeit erfuhr das Fahnenschwingen dann im Mittelalter. Überall in Europa wurden im 15. Jh. Fahnenschwingschulen gegründet, die genaue Regeln und Vorschriften hinsichtlich des Fahnenspiels erarbeiteten. Vor allem die schweizerische und deutsche Nationalschule genossen im 17. Jh. und 18.Jh großen Ruhm.

 

Arten des Fahnenschwingens in Europa

 

Heute haben wir in Europa 3 verschiedene Darstellungsarten, die alle von engagierten – meist - Männern liebevoll gepflegt werden:

 

1.                   Das Fahnenspiel:

Besonders in Italien und Belgien beliebt. Es werden beim Fahnenspiel von bis zu 20 Mann wahre Akrobatstücke mit größter Geschicklichkeit vorgeführt. Leichte und kleine Sportfahnen (kleiner 1 m x 1m) machen dabei Würfe bis zu 10 metr. Höhe möglich. Als Schwierigkeit kommt hierzu noch das beidhändige Schwingen mit 2 Fahnen hinzu.

 

2.                   Das Einhandschwingen :

In Deutschland und der Schweiz hat sich die sogen. Große Einhandfahne (1,2m x 1,8m) etabliert. Bedachter, aber nicht weniger einfach als beim Fahnenspiel wird hier meist mit 3 bis 8 Schwingern eine symbolische Reihe von Figuren geschwungen. Vereine, die diese Volkskunst pflegen sind neben reinen Volkskunstgruppen – wie die Folkloregruppe Linsengericht – auch Turnvereine (in Süddeutschland), wie sie vor 1200 Jahren nach den Idealen von Turnvater Jahn ins Leben gerufen wurden.

 

3.                   Das Zweihandschwingen:

Wie der Begriff schon erahnen lässt, wird hierbei die größte zu schwingende Fahne mit beiden Händen geschwungen. Fast nur von belgischen Gruppen vorgeführt, hat dieses Schwingen ebenfalls symbolische Charakter, wobei natürlich die Figuren und Folgen auch hier der Fahnengröße angepasst sind. Spektakulär und üblich sind besonders die Figuren auf dem Boden.

 

Besonderheiten wie das Schwingen auf Pferden stellen heutzutage exotische Ausdrucksformen dar, die jedoch historisch begründet sind und eine ungeteilte Aufmerksamkeit und Hochachtung verdienen.

 

Fahnenschwingen der Folkloregruppe Linsengericht :

 

Die Folkloregruppe Linsengericht pflegt die Kunst des Fahnenschwingens mit der o.g. großen und 2,2 kg schweren Einhandfahne mittlerweile seit über 40 Jahren, wo es von der deutschen Wanderjugend übernommen wurde.

 

                                                                           

 

Geschwungen wird die „Deutsche Reihe“, eine Figurenfolge, die aus 15 abwechselnd waagerechten und horizontalen Figuren besteht, die aufgrund alter Quellen neu zusammengestellt wurde und die verschiedenen Erscheinungen des besonderen deutschen Fahnenschwingens berücksichtigt. Die deutsche Reihe stellt dabei einen ins Feld ziehenden Ritter dar.

 

Als Fahnenmotive schwingt die Folkloregruppe Linsengericht meist mit Untermalung durch einen Trommler folgende Wappen:

Das Vereinswappen

Das Jubiläumswappen

Das Gemeindewappen (rotes gotisches A auf goldenem Grund)

Das hessische Landeswappen (rot-weiß gestreifter Löwe auf blauem Grund)

u.a.m.

 

Figurenfolgen:

  1. Begrüßung        Erweisung einer Referenz durch horizontales hin- und herschwingen

  2. Himmel               Horizontales Kreisen über den Kopf

  3. Schild               Kreisen neben dem Körper

  4. Gürtel                 Drehen um den Körper

  5. Schwert           Hinter dem Rücken mit Stoß

  6. Helm                Horizontales Drehen über dem Kopf

  7. Helmbusch        Überwerfen der Fahne

  8. Harnisch           „Windmühle„

  9. Halsberge         Umkreise des Halses

  10. Beinschienen    Um die Beine und unter einem Bein

  11. Sattel               Unter beiden Beinen durch

  12. Roß                  Über die Fahne springen

  13. Feld                  „Flache Acht„

  14. Vorstellung       Abwechselnd rechte und linke Hand

  15. Abschiedsgruß

Aus den Aktivitäten der Arbeitsgemeinschaft der Sing-, Tanz- und Spielkreise in Baden Württemberg heraus, wurde vor Ende des letzten Jahrtausends das „Fahnenspiel mit dem verkehrten Rosenbrechen“ entwickelt und zusammengestellt.

Diese neue Reihe wurde entwickelt und beschrieben, um neben der vorher genannten „deutschen Reihe“ eine weitere Reihe anbieten zu können, mit der das traditionelle Brauchtum des Fahnenschwingens in seiner ursprünglichen Ausprägung der Zeit der Renaissance gepflegt und dargestellt werden kann. So wurden auch hier Figuren aus alten Vorlagen verwendet, und zwar hauptsächlich aus dem Büchlein „Kleine Fahnen Schule“ von Andreas Klett, das 1679 in Nürnberg erscheinen ist.

 

Auftritte und Veranstaltungen

 

Als abwechslungsreiche Ergänzung erweitert das Fahnenschwingen bei Auftritten und besonders bei Festzügen in der Nähe und über die Grenzen Deutschlands hinaus das bunte und fröhliche Auftreten der Folkloregruppe in jeglicher Hinsicht.

 

Ein besonderes Highlight konnte 1994 verbucht werden, als die Linsengerichter an der 8.ten Deutschen Meisterschaft in Konstanz teilnahmen und sich mit den besten Fahnenschwenkern Deutschlands messen durften. Die Konkurrenz war groß, denn „in Nordrhein Westfalen gibt es anscheinend mehr Fahnenschwenker als Funkenmariechen“, so, nicht ganz ernst gemeint, der Chef der Veranstaltung Gerhard Schleich.

Für die Folkloregruppe war dies die erste Teilnehme an dieser Veranstaltung und so freute man sich ganz besonders, dass man mit 2 Mannschaften den 3.ten und 4.ten Platz bei der Disziplin „Fahnenschwingen – deutsche Reihe“ belegen konnte. Beim „Fahnenschwenken im Gehen“ erzielten „die Neuen“ den 7.ten Platz von 12 teilnehmenden Gruppen.

                         

                                                                           

 

Seit vielen Jahren sind die Fahnenschwinger der Folkloregruppe Linsengericht auch am alljährlichen Hessentag ununterbrochen Teilnehmer. Gab es anfänglich noch das Stadionfest, das heute durch alternative Großmusikveranstaltungen abgelöst wurde, steht heute der traditionelle  Festzug am Sonntagmittag im Vordergrund. Seit 1997 in Korbach erfreuen die Linsengerichter Fahnenschwinger am Festzug die Zuschauer mit dem Schwingen der Stadtwappen aller Hessentagsstädte, als Abgeordnete des HVT (Hessischer Verein für Tanz- und Trachtenpflege).

 

Besonders erfreulich ist, dass mittlerweile eine weitere Generation von Fahnenschwingern diese darstellungsstarke Volkskunst aufgegriffen hat und mit Freude bei Feierlichkeiten im eigenen Ort bis hin zu Treffen mit Freunden in ganz Europa gekonnt vorführt.